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»Junker-Agrariertum« war nicht verantwortlich In diesem Jahr wurde die japanische Wissenschaftlerin Rikako Shindo während der feierlichen Eröffnung des Deutschlandtreffens für ihre Dissertation zum Thema „Ostpreußen, Litauen und die Sowjetunion in der Zeit der Weimarer Republik. Wirtschaft und Politik im deutschen Osten“ mit dem Gierschke-Dornburg-Preis ausgezeichnet. Dieser Preis wird von der Dr.-Herbert-und-Marga-Gierschke-Stiftung mit Sitz in Erfurt für wissenschaftliche Arbeiten vergeben, die sich mit der deutschen Siedlungs-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte in Europa ostwärts der allgemeinen Linie Kiel – Elbe – Saale – Böhmerwald – Triest beschäftigen. Rikako Shindo hat bereits an der Universität Kyoto 1997 ihr wirtschaftswissenschaftliches Studium mit einer Magisterarbeit über die Lage der ostpreußischen Hauptstadt Königsberg vor und nach dem Ersten Weltkrieg abgeschlossen. Ihre umfangreiche Dissertation von fast 900 Seiten wurde an der Berliner Humboldt-Universität mit „magna cum laude“ bewertet. Die archivalischen Quellen zu diesem Forschungsfeld fand sie in verschiedenen Archiven, so auch im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz. Der erste Teil behandelt die Bestrebungen des Oberpräsidenten zur Erlangung weitgehender Befugnisse als Reaktion auf die Isolierung der nach Inkrafttreten des Versailler Vertrags zur Exklave gewordenen Provinz Ostpreußen. Im zweiten und dritten Teil werden dann die Folgen der erweiterten Befugnisse des Oberpräsidenten auf die deutschen Beziehungen zu Litauen sowie zur Sowjetunion und die Russlandpolitik des Magistrats von Königsberg eingehend untersucht. „Erstmals werden hier die deutsch-litauischen Verträge der 1920er Jahre betrachtet“, betonte Wolfgang Thüne, Mitglied des Bundesvorstands der Landsmannschaft Ostpreußen, in der Laudatio. „Das betrifft besonders den Deutsch-Litauischen Handelsvertrags vom Juni 1923 sowie das Deutsch-Litauische Binnenschifffahrtsabkommen vom September 1923. Es konnte gezeigt werden, dass dieses Abkommen zunächst geheim gehalten wurde und erst zwei Jahre später im litauischen Gesetzblatt veröffentlicht wurde, und zwar mit Rücksicht auf Polen.“ Im Verhältnis zur Sowjetunion ist die Ausgezeichnete besonders auf das Eisenbahnabkommen eingegangen, das im Deutsch-Sowjetischen Handelsvertrag vom Oktober 1925 enthalten war. Dieses war vom deutschen Botschafter und dem sowjetischen Außenminister im Interesse der Reichsbahn und der Handelskammer Königsberg durch mehrere Noten ergänzt worden. Darüber hinaus behandelte Shindo ausführlich den Königsberger Oberbürgermeister Lohmeyer sowie dessen Wirtschafts- und Russlandpolitik in Verbindung mit der Gestaltung der Ostmesse. So hat Lohmeyer am Moskaubesuch des Oberpräsidenten Ernst Siehr 1929 teilgenommen. Rikako Shindo sei es gelungen, so Thüne, den Ruf der ostpreußischen Wirtschaft als einer, die hauptsächlich vom „Junker-Agrariertum“ bestimmt gewesen sei, zu korrigieren, indem sie andere politische und wirtschaftliche Kräfte berücksichtigte. Bei der Betrachtung der ostpreußischen Gesellschaft habe sie den Blick auf die nach Königsberg entsandten Spitzenbeamten gerichtet sowie auf die ostpreußischen Industrie- und Handelskammern, deren Interessen nicht ohne Weiteres mit denen der Großagrarier übereinstimmten. Die Historikerin lege überzeugend dar, „dass Revanchismus und agrarische Interessenpolitik für das Ende der Republik und die Wiederkehr der nationalen Konfrontation“ keineswegs verantwortlich gewesen seien. Dass sich die Königsberger Vorstellungen nicht auf Dauer durchsetzen ließen, habe an der übergreifenden nationalen und internationalen Lage gelegen. „Die Preisträgerin hat mit viel Idealismus eine Forschungsleistung erbracht, mit der sie in überzeugender Weise die Folgen des Versailler Vertrags für das vom Reich getrennte Ostpreußen untersucht.“ - PAZ
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