»Konfliktreiche Debatten sind Vergangenheit«
Gundula Bavendamm, neue Direktorin der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung, im PAZ-Interview

Auf einem Schleudersitz? Stiftuingsdirektorin Gundula Bavendamm.Am heutigen 1. April tritt die Historikerin und Kulturmanagerin Gundula Bavendamm ihren neuen Posten als Direktorin der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung (SFVV) an. Im Interview mit der PAZ erläuterte sie ihre Vorstellungen hinsichtlich ihrer Arbeit und der Zukunft der Stiftung. Die Fragen stellte Manuel Ruoff.

PAZ: In der Politik lässt sich der Versuch feststellen, das Schicksal der deutschen Vertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem heutiger Asylsucher aus Schwellen- und Entwicklungsländern gleichzusetzen. Wie wollen Sie darauf reagieren?

Gundula Bavendamm: Die Frage nach den Bezügen zwischen dem Flüchtlingsphänomen heute und zur Zeit des Zweiten Weltkriegs ist nicht von vornherein falsch. Vor allem die Größenordnung von rund 60 Millionen Menschen stellt eine Parallele dar. Auch das unmittelbare Erleben derer, die heute etwa als Kriegsflüchtlinge gegen ihren Willen ihre Heimat verlassen müssen, unterscheidet sich nicht grundsätzlich von dem, was die Deutschen 1944/45 erlebten. Allerdings liegen den heutigen Flüchtlingsströmen keine staatlichen Beschlüsse zugrunde. Neben den Flüchtlingen aus Kriegs- und Krisengebieten gibt es Millionen Menschen, die ihr Land verlassen, weil sie ihre wirtschaftliche Lage verbessern wollen. Ungeachtet der Ursachen und Motive für Migration bin ich davon überzeugt, dass die Allermeisten in ihrer Heimat bleiben würden, wenn sie dort eine Chance hätten. Jene 350.000 Menschen, die infolge der Jugoslawienkriege nach Deutschland kamen, kehrten weit überwiegend bis Ende der 1990er Jahre in ihre Herkunftsgebiete zurück, weil sie dort wieder sicher waren. Eine solche Rückkehrmöglichkeit hatten die Deutschen nach 1945 aus bekannten Gründen nicht.

PAZ: Es lässt sich eine Tendenz feststellen, die Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg auch dadurch zu relativieren, dass der qualitative Unterschied unterschlagen wird zwischen der Entvölkerung ganzer Provinzen, wie sie in Ostdeutschland oder dem Sudetenland erfolgte, auf der einen Seite und Vertreibungen einzelner Minderheiten durch die Mehrheitsbevölkerung, wie sie im 20. Jahrhundert häufiger vorkamen, auf der anderen. Wie wollen Sie dieser Tendenz begegnen?

Bavendamm: Jede Zwangsmigration weist ihre spezifischen Merkmale auf, die wir benennen sollten. Dies gilt natürlich auch für jene rund 12,5 Millionen Deutschen, die ab 1944 von Vertreibungen betroffen waren. Die Größenordnung und der unmittelbare Kontext des Zweiten Weltkriegs geben diesem Phänomen sein Gepräge. Doch bringt uns eine dichotomische Gegenüberstellung mit Zwangsmigrationen anderer Minderheiten nicht weiter. Flucht und Vertreibung der Deutschen bestand aus einem Spektrum von Erscheinungsformen mit deutlichen regionalen Unterschieden. Das wird etwa mit Blick auf Ostpreußen und Rumänien deutlich. Bezogen auf die meisten der Einzelphänomene gab es im 20. Jahrhundert sehr wohl Parallelen: der Bevölkerungsaustausch zwischen Griechenland und der Türkei nach dem Ersten Weltkrieg mit 1,6 Millionen Betroffenen oder die Vertreibung von etwa 450.000 karelischen Finnen durch die Sowjetunion zwischen 1940 und 1944.

PAZ: Lässt sich die Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg als einzigartig bezeichnen?

Bavendamm: Man muss sich immer wieder den Kontext bewusst machen, gesamteuropäisch und nicht zuletzt auch global. Im Zuge der Teilung von Britisch-Indien 1947 etwa wurden 20 Millionen Menschen deportiert, vertrieben oder umgesiedelt.

PAZ: Glauben Sie, dass Sie mit dem Revisionismusvorwurf konfrontiert werden?

Bavendamm: Nein, das glaube ich nicht. Das Stiftungsgesetz und die Konzeption für die Arbeit der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung bieten dafür keine Anhaltspunkte. Es gehört gewissermaßen zur DNA der Stiftung, dass wir nicht über Flucht und Vertreibung der Deutschen sprechen können, ohne diese einerseits in den Kontext der NS-Expansions,- Besatzungs- und Vernichtungspolitik und andererseits in den Kontext der Zwangsmigrationen des 20. Jahrhunderts zu stellen.

PAZ: Fürchten Sie – gerade auch im Angesicht des Schicksals Ihres Vorgängers –, auf einem Schleudersitz zu sitzen?

Bavendamm: Meiner Einschätzung nach liegen die konfliktreichen, schwierigen Debatten hinter der SFVV. Alle Beteiligten sind daran interessiert, dass die Stiftung jetzt nach vorne schaut. Wir müssen unsere Hausaufgaben erledigen und durch positive Schlagzeilen von uns reden machen.

PAZ: Wo sehen Sie sich in der Kontinuität Ihres Vorgängers und wo möchten Sie eigene Schwerpunkte setzen?

Bavendamm: Ich betrachte die in der Ära Kittel verabschiedete Konzeption für die Stiftungsarbeit sowie die darin enthaltenen Leitlinien für die Dauerausstellung als Grundlage meiner Arbeit. Mir liegt vor allem daran, diesen wissenschaftlichen Text in eine überzeugende Ausstellung zu transpoieren: sprachlich verständlich, dramaturgisch plausibel und anschaulich dargestellt. Der nächste Schritt ist ein „Drehbuch“ für die Ausstellung, das hat bisher gefehlt.

PAZ: Was sind Ihre Erwartungen gegenüber dem Beirat und wie stellen Sie sich seine ideale Zusammensetzung vor?

Bavendamm: Ich tendierte dazu, den Beirat zu verkleinern, was das Stiftungsgesetz auch zulässt. Mit zehn oder zwölf Personen kann man eher arbeiten und diskutieren, als wenn 15 Experten zusammensitzen und man wegen der begrenzten Zeit im Grunde nicht über Statements hinauskommt. Es sollten Fachleute aus unterschiedlichen Bereichen vertreten sein: Wissenschaftler natürlich, aber auch Museologen und Didaktiker. Ich kann mir auch einen „Querdenker“ vorstellen, einen Intellektuellen, der nicht unbedingt Fachmann für Zwangsmigrationen sein muss. Unverändert wichtig ist die Internationalität des Beirats. Ich werde mich in jedem Fall um Vertreter auch aus Polen und Tschechien bemühen, wohlwissend, dass dies nicht leicht sein wird. Last but not least ist es mir wichtig, auch qualifizierte Frauen für den Beirat zu gewinnen. Der Beirat sollte sich dem Wohl der SFVV verpflichtet fühlen. Es ist nicht seine Aufgabe, sich in das operative Geschäft einzumischen.

PAZ: Wie sehen Sie die Zusammenarbeit mit der Öffentlichkeit und den Medien? Welche Hoffnungen und Erwartungen haben Sie?

Bavendamm: Öffentlichkeit und ein guter Kontakt zu den Medien sind wichtige Erfolgsfaktoren, gerade für die SFVV. Es hat sich viel Misstrauen aufgebaut durch die Querelen der letzten Jahre. Das beste Rezept dagegen sind meines Erachtens Transparenz und eine klare Kommunikation auf Grundlage des Stiftungsgesetzes und der Konzeption. Bewusst habe ich gleich nach meiner Wahl alle Medienanfragen beantwortet. Durch den positiven Grundtenor der bisherigen Veröffentlichungen fühle ich mich in dieser Haltung bestätigt.

PAZ: Was sind Ihre Vorstellungen und Wünsche hinsichtlich der Zusammenarbeit mit den Opfern und deren Interessenorganisationen?

Bavendamm: Mein erster Adressat ist der Bund der Vertriebenen beziehungsweise sein Präsident Bernd Fabritius. Mit ihm hatte ich bereits ein gutes Gespräch. Nach Amtsamtritt werde ich alle Stiftungsratsmitglieder persönlich treffen und so auch die einzelnen Landsmannschaften besser kennenlernen. Durch das Gespräch mit Herrn Fabritius ist mir deutlich geworden, dass in den Archiven der Landsmannschaften zum Teil Schätze liegen, die wir für die neue Dauerausstellung heben können.

PAZ: Wie stellen Sie sich die Zusammenarbeit mit den Vertreiberstaaten beziehungsweise den Staaten vor, zu denen heute die Vertreibungsgebiete gehören?

Bavendamm: Eine wichtige Ebene der Zusammenarbeit wird hoffentlich der neue Beirat sein.

PAZ: Erwarten Sie Unterstützung von der deutschen Politik?

Bavendamm: Sicher werde ich darüber auch mit der Politik in Kontakt sein. Im Stiftungsrat sitzen auch Vertreter des Auswärtigen Amtes, mit denen ich mich nach meinem Amtsantritt zum Gespräch treffen werde.

PAZ: Wie zukunftsfähig ist die Stiftung angesichts des heute herrschenden Zeitgeistes?

Bavendamm: Die SFVV ist in dem Maße zukunftsfähig, wie es ihr gelingt, das historische Phänomen von Flucht und Vertreibung der Deutschen im Kontext der NS-Expansions-, Besatzungs- und Vernichtungspolitik und der Zwangsmigrationen im 20. Jahrhundert wissenschaftlich fundiert aufzuarbeiten und für ein internationales Publikum von heute überzeugend darzustellen und zu vermitteln. Dazu gehört auch, Bezüge zur gegenwärtigen Flüchtlingskrise herzustellen.

PAZ: Ist das jetzt Ihr Traumjob?

Bavendamm: Die Leitung der SFVV ist für mich eine hochinteressante neue Aufgabe, auf die ich mich freue.

PAZ: Welche Ihrer im Laufe Ihrer wissenschaftlichen Karriere erworbenen Erfahrungen und Qualifikationen möchten Sie in Ihrer neuen Funktion einsetzen?

Bavendamm: Ich werde die gesamte Breite meiner Erfahrungen und Qualifikationen einbringen. Auch als Direktorin des Alliierten-Museums war meine Arbeit im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft, Kulturpolitik und Diplomatie angesiedelt. Das gilt in der SFVV in gesteigerter Weise. Ich fühle mich daher für die neue Aufgabe gut gerüstet.

PAZ: Wenn Sie sich für die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung etwas wünschen könnten, was wäre das?

Bavendamm: Ich wünsche mir, dass die SFVV zur Ruhe kommt und sich auf ihre anspruchsvollen Aufgaben konzentrieren kann. Die Stiftung sollte sich zu einer lebendigen Institution entwickeln, die sich mit einem erkennbar eigenen Profil zum Menschheitsthema der Zwangsmigrationen im öffentlichen Diskurs positioniert und diesen mit prägt.
 

Quelle:
Preußische Allgemeine Zeitung / Das Ostpreußenblatt Ausgabe 01.04.2016