Königsberg:
Synagoge mit Lindenstraße |
Es brennt immer noch |
75 Jahre nach den Novemberpogromen von 1938 |
Die sogenannte "Kristallnacht" ist ein zentrales Datum in der deutschen Geschichte: Zum ersten Mal wurde offen und staatlich sanktioniert Gewalt gegen eine Minderheit ausgeübt. Die Novemberprogrome führten vier Jahre später unweigerlich zur Deportation deutscher Juden.
Als am 9. November 1938 auch in
Königsberg Synagogen brannten, jüdische
Geschäfte geplündert, Wohnungen verwüstet, Menschen geprügelt, gequält, vergewaltigt,
verschleppt wurden - da hieß die zur Ausstellungseröffnung angereiste heute 86-jährige Nechama Drober noch Hella Markowsky, war 15 Jahre alt und wohnte in
Königsberg ganz
in der Nähe der Neuen Synagoge.
"Der 9. November wird mir auch immer im Kopf bleiben,
ich wird das nie vergessen, dass ich gesehen habe, dass die Synagoge brennt. Unser
Untermieter, die kamen nach Hause, der Feuerstein war Kellner in dem jüdischen Restaurant
im Gemeindehaus. Und dorten kam auch die SA rein, haben die Menschen, die an ihren
Tischen saßen, verprügelt und dann verhaftet. Und die sind entlaufen von dorten,
also es ist ihnen gelungen, zu entkommen und kamen dann zu uns nach Hause gelaufen
und klopften an unsere Tür und haben uns das erzählt. Ja und da sahen wir gleich,
dass die Synagoge schon brennt, ja? Und dass Flammen schon oben rausgingen."
Im großen Ausstellungsraum des "Dokumentationszentrums Topographie des Terrors"
bilden Schaukästen ein Oval; sie stehen leicht schräg, als würden sie langsam im
Boden versinken. Beginnend im Sommer 1938 dokumentieren Fotos und Texte, Akten,
Bekanntmachungen, Erlasse die immer systematischeren Judenverfolgungen der Nazis,
die Schreckensnacht des 9. November und was aus ihr folgte - an den Seiten Kopfhörer
mit den Erzählungen derer, die die Schreckensnacht überlebten.
"Die SA ist auch im Waisenhaus eingedrungen, wo
die Kinder in ihren warmen Betten lagen und geschlafen haben. Die haben die Kinder
rausgetrieben in Nachthemden, barfuss in die kalte Novembernacht. Die sind über
die Straße gelaufen, das haben wir auch gehört, das war ja alles nicht weit von
uns entfernt … ja …, war furchtbar."
Die unangenehme Rolle der "Gaffer und Plünderer" wird dokumentiert; die Mehrheit
der Bevölkerung wird in Berichten der Staatlichen Verwaltung und der NSDAP als "passiv"
beschrieben; wo es Kritik an den Pogromen gab, bezog sie sich in den meisten Fällen
darauf, dass Kleidungsstücke, Haushaltsgegenstände zerstört worden wären, die man
doch viel besser für wohltätige Zwecke hätte verwenden können - weit verbreitet
offenbar die Vorstellung, das geraubte Eigentum von Juden gehöre der Allgemeinheit.
Dass Einzelne Nichtjuden den Verfolgten Unterschlupf boten, kam vor, war aber eher
die Ausnahme als die Regel.
"Und dann kamen sie auch zu uns, unser Hauswirt,
der stand - und die SA mit ihren Leuten kam und haben unsere Wohnung verwüstet,
alles von den Schränken rausgeworfen und das Bett übergewühlt, ja und dann wurde
der Papa verhaftet und drei Wochen wussten wir gar nicht, wo der Papa ist. Und meine
Mutti dann ist zu allen Behörden gegangen, um mal rauszufinden, wo der Papa, wo
man sie hingebracht hat. Und dann waren sie erst im Polizeipräsidium, dort, wo die
Gestapo war, im Keller eingesperrt und von dort brachte man sie nach Metgethen,
auch in einer Feuerwehrschule im Keller eingesperrt. Und dort mussten sie am Tag
arbeiten und in der Nacht waren sie dann im Keller."
Uwe Neumärker, Direktor der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, sieht
den 9. November als eine Art Schicksalstag der Deutschen an - und die Pogromnacht
von 1938 als etwas, was in seiner Bedeutung bis heute nicht wirklich erkannt worden
sei.
"Ich denke, es ist ein zentrales Datum in der deutschen
Geschichte mit den verschiedenen Facetten, erst die Ausrufung der Republik 1918,
dann der Hitler-Putsch, dann die sogenannte "Kristallnacht" und natürlich dann auch
der Fall der Mauer. Was die sogenannte "Kristallnacht" betrifft, ist es zum ersten
Mal offene Gewalt gegen eine Minderheit, staatlich sanktioniert, und es ist eine
Ausgrenzung von Menschen, die sich meist als deutsche Patrioten verstanden, und
insofern ist es ein Ereignis, dessen Dimension wir noch immer nur ahnen können und
das nach 75 Jahren genauso aktuell ist wie zum 50. Jahrestag oder zum 40. Jahrestag."
"Und dann nach 1942 ging ja schon der erste Transport los, im Juni, am 24. Juni war
der erste Transport, und der zweite war dann Ende August. Und der erste Transport
- haben wir erst fahren 2009, wo man sie hingebracht hat. In Malyi Trostenez bei
Minsk wurden sie dort ermordet und man hat sie gleich in die Gruben geworfen."
Nechama Drober hat die Pogromnacht überlebt. Sie überlebte zwei Deportationen, überlebte
auch die Eroberung Ostpreußens durch die Rote Armee. Ihr Vater wurde nach Sibirien
verschleppt, ihr Mutter und ihr Bruder verhungerten. Mit ihrer Schwester floh sie
über Litauen in das moldauische Kischinew. Nach Deutschland zu kommen, wurde ihr
1990 verwehrt: Anträge von sowjetischen Juden zur Ausreise nach Deutschland würden
nicht mehr angenommen, teilten die deutschen Konsulate auf Weisung des Innenministeriums
in Bonn mit. Wegen des in der Sowjetunion aufkeimenden Antisemitismus ihres Lebens
nicht mehr sicher, wanderte Nechama Drober nach Israel aus.
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