Sitzung der
Militärreorganisationskommission: Major von Boyen,
König Friedrich
Wilhelm III., Oberstleutnant von Gneisenau, Generalmajor von Scharnhorst, Major von Grolmann, Minister Freiherr vom und zum Stein (von links nach rechts) |
Scharnhorst erhält seine Chance
Vor 200 Jahren setzte Friedrich Wilhelm III. die
Militärreorganisationskommission ein
von Klaus Hornung
Bereits schon während des Vierten Koalitionskrieges, am 1. Dezember 1806, hatte Preußens König Friedrich Wilhelm III. das "Ortelsburger Publicandum" erlassen, in dem er seine Entschlossenheit ausdrückte, "die unglücklichen Ereignisse" des Herbstes zu untersuchen und schimpfliches Verhalten der Kommandeure zu ahnden. Am Beginn der Erneuerung stand die Säuberung. Von den rund 7.000 Offizieren des Herbstes 1806 wurden 206 unehrenhaft aus der Armee entlassen, darunter die hohe Zahl von 17 Generalen. Die Kriegsgerichte verhängten sieben Todesurteile, von denen jedoch nur eines an dem Kommandanten von Küstrin vollstreckt wurde, weil er unehrenhaft nach Sachsen geflohen war. Das waren allerdings nur Vorgeplänkel. Die eigentliche preußische Heeresreform lief erst nach der Beendigung des Vierten Koalitionskrieges durch den Tilsiter Frieden mit der Berufung der sogenannten Militärreorganisationskommission an.
Vor 200 Jahren, nur wenige Tage nach dem Abschluß des Friedensvertrages von Tilsit, berief der preußische König eine "Militärreorganisationskommission" mit dem Auftrag einer Reform der Armee und ernannte zu ihrem Vorsitzenden den Generalmajor Gerhard von Scharnhorst. Zunächst herrschte in ihr noch ein Patt zwischen Konservativen und Reformern, die mit den späteren Berufungen des Oberstleutnants von Gneisenau, der Majore von Boyen, Graf Götzen und von Grolman sowie Carl von Clausewitz als Adjutanten Scharnhorsts und Sekretär der Kommission schließlich doch das Übergewicht erlangten. Der König selbst hatte das Arbeitsprogramm der Kommission umrissen, so daß die Reformer sich fortan gegen die Konservativen in der Armee auf den Willen des Monarchen berufen konnten.
Im ersten Immediatbericht der Kommission an den König hieß es: "Es scheint in der jetzigen Lage der Dinge darauf anzukommen, daß die Nation mit der Regierung aufs Innigste vereinigt werde, daß die Regierung gleichsam mit der Nation ein Bündnis schließt, welches Zutrauen und Liebe zur Verfassung erzeugt und ihr eine unabhängige Lage wert macht ... Wer diese Gefühle nicht genießt, kann auf sie (die Selbständigkeit des Staates) keinen Wert legen und sich nicht für sie aufopfern". Das war also, wie Theodor Schieder in seinem schönen Porträt Scharnhorsts im zweiten Band von "Die Großen Deutschen" sagt, mehr als nur eine militärfachliche Erörterung, sondern ein politisches Programm der Befreiung von der Fremdherrschaft und der Wiedergewinnung der Unabhängigkeit und Selbständigkeit des preußischen Staates.
Hier fand sich auch Scharnhorsts berühmte Formulierung: "Alle Bürger des Staates sind geborene Verteidiger desselben." Es wurde zum Markenzeichen der preußischen Reformen, der militärischen wie der politischen, wenn der König selbst formulierte: "Der Staat muß durch geistige Kraft ersetzen, was er an physischer verloren hat." Und Scharnhorst fügte im gleichen Sinne hinzu: "Der Geist ist der beste Hebel des Heeres, ohne ihn helfen alle Paradekünste nichts, das Heer bleibt ohne Geist eine bloße Maschine, ein Räderwerk von Automaten. Dieser Geist entsteht nicht von selbst, er muß von oben herab durch äußere und innere Mittel, durch Vaterlandsliebe, durch Gemeinsinn, durch zweckmäßig eingerichtete Volksschulen (gemeint sind die Bildungseinrichtungen im weitesten Sinn) ... geweckt werden."
In einer Serie von Reformgesetzen im August 1808 wurden die Reformen umgesetzt, beginnend mit der Neuregelung des militärischen Disziplinar- und Strafwesens. Die Strafen in den Heeren des Absolutismus wie Stockprügel und Gassenlaufen mußten der Vergangenheit angehören, die "Freiheit des Rückens", wie Gneisenau schrieb, war Grundvoraussetzung, wenn der Soldat vom verachteten Söldner zum ehrenvollen Vaterlandsverteidiger werden sollte; das ging einher, wie die Reformer betonten, mit einer durchgreifenden Modernisierung der Menschenführung in der Armee, hin zu mitdenkendem Gehorsam und selbständigem Denken.
Ein entscheidender Schritt war die Beseitigung des bisherigen Adelsprivilegs auf den Offizierberuf und dessen Öffnung auch für die Bürgerlichen. An die Stelle des adligen Geburtsprivilegs, das den Zusammenbruch recht eigentlich verursacht hatte, trat das bürgerliche Leistungsprinzip. Nur so konnten, wie Gneisenau schrieb, die "im Schoß der Nation schlafenden Kräfte" für das Gemeinwesen erschlossen und entwickelt werden. Hier wurde der enge Zusammenhang der Militärreform mit der politischgesellschaftlichen Modernisierung durch den Freiherrn vom Stein (Bauernbefreiung, Gewerbefreiheit, kommunale Selbstverwaltung, die Anfänge der konstitutionellen Monarchie) deutlich.
An die Stelle der Ausländerrekrutierung für die absolutistischen Heere trat die ausschließliche Rekrutierung der Landeskinder, zunächst vor allem der Söhne der ohnedies weit überwiegenden Landbevölkerung mit Erleichterungen für die Söhne des Bürgertums von Besitz und Bildung durch eine nur einjährige Dienstpflicht, die Form, die dann in das Gesetz Boyens zur allgemeinen Wehrpflicht einging, das erst 1814 erlassen wurde.
Hinzu kam die Konzentration der militärischen Führung im Kriegsministerium, das seinerseits wieder in die politische Gesamtregierung eingefügt wurde, ein wichtiger Schritt zur Konstitutionalisierung der Armee. Und nicht zuletzt wurde der Aufbau eines modernen Generalstabes mit speziell wissenschaftlich vorgebildeten Offizieren ein Anliegen Scharnhorsts. Nach seiner Vorstellung sollte er der Einheitlichkeit der militärischen Führung wegen in das Kriegsministerium eingegliedert sein. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts hatte er sich jedoch zu einem weitgehend unabhängigen militärischen Führungsinstrument entwickelt und als solches ist er vor dem Ersten Weltkrieg zu einem internationalen Modell der Militärorganisation, besonders für die Vereinigten Staaten und bis hin nach Japan, geworden.
Scharnhorst und die preußischen Heeresreformer standen nicht zuletzt unter dem Eindruck des neuen Kriegsbildes, das die Französische Revolution mit ihrer Nationalisierung der Massen und ihren Massenheeren in die Welt gebracht hatte. Die von ihnen in die Wege geleitete Reform der militärischen Ausbildung zog die Folgerungen aus den Erfahrungen des Kampfes mit den napoleonischen Heeren, ihrer Überwindung der starren Lineartaktik der absolutistischen Heere durch die Taktik des "aufgelösten Gefechts", der "Tirailleurs" in der Ausbildung daher die Betonung des Schießens gegenüber dem sturen Exerzieren auf dem Kasernenhof bis hin zur Berücksichtigung der "Guerilla", des "kleinen Krieges" der Partisanen, den der spanische Befreiungskrieg gegen Napoleons Heere entwickelt hatte. Auch die "Riflemen" des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges wurden von preußischen Generalen wie Johann David Yorck studiert, eine Entwicklung, die dann in der langen Friedenszeit nach 1815 wieder vielfach zur konventionellen militärischen Ausbildung der Kasernenhofarmeen zurückgeschraubt wurde.
Die preußische Heeresreform ab 1807 hat sich in ihren Grundzügen ein rundes Jahrhundert, bis zum Ersten Weltkrieg, erhalten und vielfach bewährt. Sie war kein revolutionärer Umsturz, sondern, vor allem nach den Vorstellungen Scharnhorsts, eine maßvolle Reform, gekennzeichnet durch ihre enge Verbindung von politischer und militärischer Reform, Teil eines Modernitätsschubs, der den Absolutismus überwand und den Weg zur konstitutionellen Monarchie öffnete, darüber hinaus zum modernen demokratischen "Bündnis der Regierung mit der Nation". Man kann sie als einen wichtigen Teil des "guten Fadens" in der deutschen Geschichte mit ihren sonst so tragischen Entwicklungen bewerten. Sie bietet insbesondere für unsere eher schwächliche Gegenwart ein Vorbild dadurch, daß sie den Geist, die "moralischen Faktoren", wie Clausewitz sagte, als die entscheidenden Hebel aller politischen und militärischen Reformen erkannte und daraus die Folgerung zog, daß ohne Geist die Dinge "eine bloße Maschine, ein Räderwerk von Automaten" bleiben, wie Scharnhorst formuliert hatte. Das bleibt eine Mahnung auch und gerade für unsere Tage und mag erklären, warum bei uns so viel lautes Reformgetöse, etwa im Bereich der Bildung und Ausbildung, der Schulen und Hochschulen, ohne nachhaltige Wirkungen bleibt.
Der Autor des Beitrages ist Verfasser des Standardwerkes "Scharnhorst - Stratege des Widerstands", Bechtle, Esslingen 1997, 344 S., zahlr. Abb., 19,90 Euro. Weitere Literatur zu dem Thema: Gerhard von Scharnhorst: "Ausgewählte Schriften", Biblio-Verlag, Osnabrück 1983, XVIII, 520 S., 34,80 Euro; Andreas Broicher: "Gerhard von Scharnhorst - Soldat - Reformer - Wegbereiter", Helios, Aachen 2005, 271 S., 85 schw.-w. Abb., 25,80 Euro; "Gerhard von Scharnhorst - Vom Wesen und Wirken der preussischen Heeresreform - Ein Tagungsband", hrsg. v. Eckhardt Opitz, Edition Temmen, Bremen 1998, 208 S., 6 schw.-w. Abb., 15,90 Euro.
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