Die Nato hat ungeachtet
der Kritik aus Russland die Aufnahme Montenegros beschlossen. |
Nato und Russland |
Die Nato rücke immer dichter an die europäischen Grenzen Russlands. Dadurch breche sie Vereinbarungen mit Moskau und schaffe eine neue militärische Front wie zu Zeiten des Kalten Krieges, warnt der Hamburger Friedensforscher Reinhard Mutz.
Das Dementi klingt so dürftig, dass es schon Mitleid verdient. Nein, das neue amerikanische Raketenabwehrsystem in Rumänien, so Nato-Generalsekretär Stoltenberg, bedrohe nicht die Sicherheit Russlands. Dazu stehe die Anlage viel zu dicht an seiner Grenze.
Was für ein Argument! Sicherheitspolitiker wissen, wie allergisch Großmächte reagieren, wenn ihnen ungeliebte Rivalen ihre neueste Waffentechnologie direkt vor die Haustür stellen. Eine der gefährlichsten Zuspitzungen des Kalten Krieges, die Kuba-Krise von 1962, hat genau so angefangen.
Noch unbehaglicher wird es, wenn auch das Bedienungspersonal, also Soldaten, immer näher an die eigenen Landesgrenzen heranrücken. Alle drei Präsidenten der Russischen Föderation - Jelzin, Medwedew, Putin - haben die Nato-Osterweiterung zur größten Herausforderung der russischen Sicherheitsanliegen erklärt. Und darin folgte ihnen stets die Mehrheit der Bevölkerung.
Vergessen ist die hochfliegende Rhetorik von 1989
Wer erinnert sich noch an die hochfliegende Rhetorik der Epochenwende nach 1989? Vom Ende der Gegnerschaft war die Rede, von Einheit und gleicher Sicherheit, von einem Zeitalter des Friedens in Europa ohne neue Grenzen und Gräben. Konsequent wäre es gewesen, eine europäische Sicherheitsordnung aufzubauen, die jeden in dieselbe Pflicht nimmt, aber niemanden von gleichberechtigter Teilhabe ausschließt.
Die Kluft zwischen den großen Tönen des Aufbruchs und der kleinen Münze realpolitischer Einlösung hat diesen Weg blockiert. Stattdessen begann die Nato ihre Expansion nach Osten. In drei Aufnahmeschüben erhöhte sie ihre Mitgliederzahl von 16 auf 28. Sechs davon sind frühere sowjetische Verbündete, drei ehemalige Sowjetrepubliken. Und sie will weiter wachsen.
Als Trostpflaster erhielt Moskau ein feierlich besiegeltes Dokument: die Nato-Russland-Akte von 1997. Sie hob seinen protokollarischen Status geringfügig an. Russlands Mitspracherecht in den Schlüsselfragen europäischer Sicherheit übersteigt nun das Niveau Liechtensteins oder San Marinos, blieb aber immer noch winzig im Vergleich zu Ländern wie Luxemburg oder Lettland.
Nato verstärkt seit Krimkrise ihre Präsenz in Osteuropa
Seit Beginn der Krimkrise im Frühjahr 2014 verstärkt die Nato ihre Präsenz in den östlichen Mitgliedsländern durch ausgedehnte Manöveraktivitäten, die Einrichtung neuer Kommandozentralen und die Vorverlagerung militärischen Materials.
Die Schnelle Eingreiftruppe wurde auf fast 40.000 Soldaten verdreifacht und um eine sogenannte Speerspitze ergänzt, die aus dem Stand einsatzfähig ist. Die USA planen die Verlegung einer Panzerbrigade mit bis zu 4.000 Soldaten, die Bundesregierung hat die Entsendung eines Kampfbataillons nach Litauen zugesagt.
Damit verstößt die Nato gegen ihre Zusage aus der Russlandakte, in den neuen Mitgliedsländern keine zusätzlichen substantiellen Kampftruppen dauerhaft zu stationieren. Den Vorhalt des Wortbruchs sucht sie dadurch zu entkräften, dass die Truppenkontingente von Zeit zu Zeit zwischen den einzelnen Standorten rotieren.
Eskalierende Regionalkonflikte könnten Warnung genug sein
Die Nato muss überlegen, ob sie die bisher nur rechtlich und politisch markierte Ostgrenze der Allianz zu einer militärisch befestigten Frontlinie ausbauen will - wie zu Zeiten des Kalten Krieges.
Als Warnung dienen mag der kaukasische Fünftagekrieg vom Sommer 2008, als russische Truppen die georgische Armee zurückdrängten, die in Südossetien einmarschiert war, um die abtrünnige Provinz wieder in Besitz zu nehmen.
Augenblicklich eskalierte ein Regionalkonflikt zur internationalen Großkrise. Im Schwarzen Meer drängten sich die Kriegsschiffe der Atommächte. In Brüssel berieten die Bündnisbotschafter über den Einsatz der Nato-Response-Force. Wie knapp der Westen an einem Waffengang mit Russland vorbeigeschrammt ist, wissen bis heute nur die Eingeweihten.
Korrektur: Die ursprüngliche Fassung dieses Manuskriptes
datierte den kaukasischen Fünftagekrieg fälschlicherweise auf das Jahr 2009.
Reinhard
Mutz, Jahrgang 1938, studierte nach dreijährigem Militärdienst Politikwissenschaft
und Neueren Geschichte. Er arbeitete bis 1984 am Institut für internationale
Politik und Regionalstudien der Freien Universität Berlin und bis 2006 am Institut
für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg, zuletzt
als Geschäftsführender Wissenschaftlicher Direktor. |
Quelle: |