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Interview - Flucht und Vertreibung
„Die Fähigkeit zu helfen ist nicht unendlich“
Das Flüchtlingselend nach dem Zweiten Weltkrieg sei nicht mit den aktuellen Verhältnissen zu vergleichen, warnt Bernd Fabritius, der Präsident des Bundes der Vertriebenen, im Interview mit der Stuttgarter Zeitung.
Berlin - Die Menschenrechte gelten ungeteilt, so der CSU-Mann Bernd Fabritius, Präsident des Bundes der Vertriebenen. Er warnt aber vor historischen Vergleichen. Nach Kriegsende kamen Deutsche zu Deutschen, heute Fremde, die sich an unsere Kultur erst gewöhnen müssten.
Herr Fabritius, der Bundespräsident sagt: Die Flüchtlinge von heute seien politische Nachfahren der Vertriebenen bei Kriegsende. Wie denken Sie darüber?
Das halte ich eher für Ihre Interpretation. Für mich gibt es keine Vergleichbarkeit dieser Art. Die Umstände und die Ausgangslagen sind völlig unterschiedlich. Das gilt auch für die Fluchtursachen und die Integrationsfähigkeit der Flüchtlinge und Vertriebenen von heute und der deutschen Heimatvertriebenen von damals. Vergleichbar ist das individuelle Trauma, das die einen wie die anderen erleben mussten. Wenn Menschen ihre Heimat verlieren, weil sie vertrieben werden, ist das ein Einschnitt, der nur zu verstehen ist, wenn man das selbst erlebt hat. Weil die deutschen Heimatvertriebenen das selbst erlebt haben, verfügen sie über eine besondere Empathie gegenüber allen Opfern von Flucht und Vertreibung. Aber die historischen Verhältnisse sind nicht zu vergleichen.
Wo liegen für Sie die Unterschiede?
Damals wurden Landsleute in den eigenen Kulturkreises vertrieben. Man könnte sie allenfalls mit heutigen Binnenflüchtlingen vergleichen. Es kamen ja Menschen mit der gleichen Sprache, denselben Wertvorstellungen und oft mit der gleichen Religion oder der gleichen Staatsangehörigkeit in den Westen Deutschlands. Heute kommen Menschen aus der Fremde in eine Fremde. Es kommen Menschen, die oft unseren Wertekanon nicht im Konsens teilen können – alleine wenn ich an die Geschlechtergleichheit denke. Es kommen Menschen, die sich an eine freie Gesellschaft zuerst gewöhnen müssen. Deswegen sind die Herausforderungen völlig unterschiedlich.
Wie sehr fühlen sich Vertriebene angesichts der Bilder von Flüchtlingstrecks an das eigene Schicksal erinnert?
Ganz deutlich. Die Menschen, die heute aus Kriegsgebieten fliehen, haben ihre Heimat unter gleich schrecklichen Umständen verloren. Deren Trauma ist vergleichbar mit dem, was viele Mitglieder unseres Verbandes aus ihrer eigenen Biografie kennen. Das vergisst man nicht. Das brennt sich in die eigene Identität ein.
Deutschland hat nach dem Krieg zwölf Millionen Vertriebene aufgenommen. Reden wir vor dem Hintergrund dieser historischen Erfahrungen heute zu leichtfertig über Grenzen der Belastbarkeit?
Nein, das tun wir sicher nicht. Die Rahmenbedingungen für die Aufnahmefähigkeit sind heute ganz anders. Auf der einen Seite ist es so, dass die Flüchtlinge heute in ein reiches Land kommen. Das Deutschland von heute ist leistungsfähiger als das zerbombte Land nach dem Krieg. Heute stellen sich die Herausforderungen eher in sozialer, gesellschaftlicher und kultureller Hinsicht. Und diese Herausforderungen sind mit Sicherheit schwerer zu bewältigen als die rein materielle Hilfe. Wir müssen die Fähigkeit, Hilfe zu bieten, realistisch sehen. Sie ist ganz gewiss nicht unendlich.
Entspricht das „Wir schaffen das“ der Kanzlerin nicht eher dem Pioniergeist der Nachkriegszeit als alle Bedenken, welche die CSU jetzt gelten macht?
Nein, diese Ansicht teile ich so nicht. Insbesondere lege ich das „Wir schaffen das“ anders aus. Dieser Satz behauptet keine unbegrenzte Aufnahmefähigkeit. Er meint: Wir schaffen es, die Flüchtlinge, die hier sind, zu integrieren. Und wir schaffen es, das Problem insgesamt zu lösen – auch die Zahl der Flüchtlinge zu begrenzen, indem wir Fluchtursachen bekämpfen und auch unsere staatliche Selbstbestimmung einschließlich der Kontrolle unserer Grenzen verteidigen. Wir haben darüber hinaus zu großen Teilen Sekundärmigration: Da kommen schon Syrer, aber sie kommen nicht aus Syrien, sondern aus Ländern, in denen sie schon sicher waren. Es muss doch möglich sein, die Lage dort so zu stabilisieren, dass sie nicht fliehen müssen.
Hatten die vertriebenen Deutschen mehr Recht auf Hilfe als Fremde?
Menschenrechte sind unteilbar. Deutschland war nach dem Krieg in einer anderen moralischen Verpflichtung, weil es um Landsleute ging. Heute geht es um eine humanitäre Pflicht, die ebenfalls getragen werden muss – in solidarischer Mitwirkung aller Staaten.
Nach dem Krieg war die Willkommenskultur gegenüber Vertriebenen nicht sonderlich ausgeprägt. Warum hat sich das geändert?
Damals gab es Sätze wie: Die größten Landplagen sind Wildschweine, Kartoffelkäfer und Flüchtlinge. Ich bin sehr froh, dass unsere Gesellschaft heute weiter ist. Vielleicht ist sie auch deshalb weiter, weil sie in großem Maße deutsche Heimatvertriebene aufgenommen hat und diese ihre Erfahrung einbringen. Ich habe die unmittelbare Nachkriegszeit ja nicht selbst erlebt, bin aber sicher, dass es damals neben den beschriebenen Vorbehalten auch viele Menschen gab, denen die Vertriebenen willkommen waren. Heute ist das auch nicht anders. Es ist viel zu kurz gesprungen, wenn man nur den Blick auf die Hilfsbereitschaft lenkt, aber die Sorgen und Ängste, die es auch gibt, nicht sehen will.
Wo verlaufen für Sie die Grenzen zwischen legitimen und illegitimen Fluchtgründen?
Die Grenzen sehe ich dort, wo jemand seine Heimat nicht auf Grund der im Asylrecht und der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen verlassen muss, sondern eine freie Entscheidung trifft, sein Glück woanders zu suchen.
Das deutsche Wirtschaftswunder hätte es ohne Vertriebene nicht gegeben. Warum sehen wir heute mehr Risiken als Chancen?
Weil die Situationen nicht vergleichbar sind. Die Aufnahmefähigkeit des deutschen Arbeitsmarktes für diese Menschen ist heute nicht so gut wie damals – um nur ein Beispiel zu nennen. Heute kommen Menschen, die unsere Sprache nicht sprechen, die vielfach noch nicht einmal unsere Schrift lesen können, weil ihnen lateinische Buchstaben fremd sind. Die Qualifikationsniveaus sind nicht so einfach vergleichbar, wie das nach dem Krieg gewesen ist. Deshalb kann man das nicht eins zu eins setzen. Ich bin aber überzeugt davon, dass viele Flüchtlinge, die jetzt kommen, die gleiche Leistungsbereitschaft mitbringen wie die Heimatvertriebenen vor 70 Jahren. Es kommt auf deren Integrationswillen an.
Fühlen Sie sich in Ihrer Funktion als Präsident im Bund der Vertriebenen als Anwalt der jetzt ankommenden Flüchtlinge?
Ich fühle mich als Mensch und als Abgeordneter, der dem Menschenrechtsausschuss des Deutschen Bundestags angehört, in gleicher Weise als Anwalt dieser Menschen, wie als BdV-Präsident. Es gibt dennoch einen Unterschied: mein Verband vertritt die deutschen Heimatvertriebenen. Er ist kein Flüchtlingsverband allgemeiner Art für alle Flüchtlinge.
Um noch einmal den Bundespräsidenten zu zitieren: Er wünscht sich, dass die Erinnerung an das Unrecht von damals „unser Verständnis für geflüchtete und vertriebene Menschen heute vertiefen“ möge . . .
. . . das unterstreiche ich aus vollem Herzen, betone
aber, dass dieser Appell sich nicht an die deutschen Heimatvertriebenen richtet,
weil deren empatische Einstellung bekannt ist. Der Appell richtet sich an die deutsche
Gesellschaft insgesamt.
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