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Exklusiv-Interview mit Erika Steinbach zur Flüchtlingspolitik

„Die Grenzen schließen, sofort“
Von Armin Käfer

Berlin - In der Union wächst der Widerstand gegen die Willkommensgesten der Bundeskanzlerin. Zu den vehementesten Kritikern zählt eine führende Stimme der Konservativen in der Fraktion: die frühere Präsidentin des Vertriebenenbundes, Erika Steinbach.

Frau Steinbach, wie viele Flüchtlinge verkraftet Deutschland noch?

Wir haben schon jetzt mehr Migranten neu im Lande aufgenommen als menschenrechtskonform versorgt werden können. Das zeigen die aktuellen Bilder von Menschen, die teils sogar auf dem Fußboden in Hallen übernachten müssen mit nur einer dünnen Decke anstelle einer Matratze – das ist nicht menschenwürdig. Es kommen täglich ja mehrere Tausende hinzu. Vor diesem Hintergrund muss ich feststellen: Wir haben die Grenze bereits überschritten.

Die alte Bundesrepublik hat zwölf Millionen Vertriebene verkraftet. Was lehrt uns das?

Das sind zwei sehr unterschiedliche Sachverhalte. Ich selbst habe gemeinsam mit meiner Mutter und meiner Schwester von 1945 bis 1952 in Notunterkünften gelebt. Ich weiß also, was das bedeutet. Eines meiner ersten Erinnerungsfragmente ist unser Zimmer mit zwei Betten. Wir hatten als Toilette einen Eimer im Zimmer, keine Heizung, keinen Herd. Das war auch fünf Jahre nach Kriegsende noch so. Obwohl damals Deutsche zu Deutschen kamen. Die damaligen Flüchtlinge wurden mit roher Gewalt in Viehwaggons oder auf Todesmärschen aus ihrer Heimat ausgetrieben, in der sie trotz aller Bedrängnis zumeist gerne geblieben wären. Die Vertriebenen flohen auch nicht in ein reiches, „gelobtes Land“, um dort besser leben zu können. Sie wurden rausgezwungen, in einen ebenfalls verwüsteten, verarmten Teil ihres eigenen Landes, zu Menschen der eigenen Volksgruppe. Trotzdem gab es viele Aversionen gegenüber den eigenen vertriebenen Landsleuten. Damals musste es zwangsläufig Solidarität geben, weil es um die eigenen Landsleute ging, die nicht mehr oder weniger Schuld am NS-Regime hatten, aber einer Kollektivstrafe ausgesetzt waren.

Welche historischen Parallelen gibt es?

Natürlich erleben auch Flüchtlinge von heute einen schmerzlichen Heimatverlust. Und die Bilder, die wir sehen, sind erschütternd. Aber die meisten Migranten werden nicht gegen ihren Willen nach Deutschland geschafft, sondern zahlen in aller Regel viel Geld um gerade nach Deutschland zu kommen. Ein Großteil der Menschen kommt deshalb freiwillig zu uns, weil hier eine bessere Zukunft erhofft wird, nicht, weil Leib und Leben akut bedroht waren. Das ist schon ein signifikanter Unterschied. Ich habe in meinen Reden immer wieder deutlich gemacht: Wir müssen die Flüchtlingsursachen vor Ort bekämpfen. Es war lange absehbar, dass sich im Nahen Osten etwas zusammenbraut. Aber zu viele haben weggeschaut. Auch die Europäische Union hat eklatant versagt.

Vertritt Angela Merkel noch Ihre Politik?

Ich schätze die Bundeskanzlerin sehr. Ich mag ihre menschliche Art. Sie lässt jedem Gesprächspartner immer seine Würde. In dieser Flüchtlingsfrage bin ich aber dezidiert anderer Meinung als die Kanzlerin.

Die Unionsfraktion stehe geschlossen hinter der Kanzlerin, sagt Thomas Strobl. Wie müssen wir den Satz verstehen?

Stimmt. Es geht nicht darum, eine Kanzlerin abzusägen, schon gar nicht die eigene. Aber trotzdem gibt es massive Kritik an der Politik Merkels bei diesem Thema. Ein sehr erheblicher Anteil der Fraktion hält den von ihr eingeschlagenen Weg für verkehrt.

Sie erwarten von der Kanzlerin ein Signal zum Schließen der deutschen Grenzen, ist auf Ihrer Facebook-Seite zu lesen. Haben Sie die Hoffnung inzwischen aufgegeben?

Wenn uns unser eigenes Land am Herzen liegt, müssen wir darauf drängen, dass dieser Zustrom gestoppt wird. Und zwar so schnell wie möglich, damit wir wenigstens die Menschen, die bereits da sind, human versorgen und soweit sie bleiben dürfen auch zu integrieren vermögen. Es kann ja nicht dabei bleiben, dass die Leipziger Messehalle als Unterkunft dient und überall Turnhallen, Gemeindezentren oder Bundeswehrkasernen mit Flüchtlingen belegt sind. Wie soll das denn weitergehen? Viele Migranten haben zudem auch sehr hohe Erwartungen und falsche Vorstellungen von Deutschland. Es gibt durchaus unverhohlene Enttäuschung über die Unterbringung in Massenunterkünften. Was für mich nicht nachvollziehbar ist, ist die freudige Begleitmusik der deutschen Wirtschaft zu dieser Massenzuwanderung, weil man sich erhofft, personelle Engpässe zu beheben. Es gibt in der Europäischen Union zwanzig Millionen arbeitslose Menschen, der größte Teil davon sind Jugendliche unter 25 Jahre. Unsere primäre Verantwortung innerhalb der Europäischen Union muss doch zuerst den eigenen Arbeitslosen gelten. Die seit Jahren steigenden Arbeitslosenzahlen in unseren europäischen Nachbarländern sind alarmierend. Es ist also innerhalb unseres eigenen Kulturkreises ein riesiges Arbeitskräftereservoir vorhanden, das seitens der deutschen Wirtschaft offenkundig ignoriert wird.

Die Umfragewerte der Union rutschen mehr und mehr in den Keller. Wo verläuft für Sie da die Schmerzgrenze?

So bitter es ist, dass die Umfragewerte derart sinken, so vorhersehbar war es. Ich höre kaum jemanden, der den seitens Deutschlands eingeschlagenen Weg noch für richtig hält. Die Flüchtlingspolitik wird von den meisten Menschen für verkehrt, ja für bedrohlich gehalten – selbst von solchen, die Angel Merkel mögen. Ich gehöre ja auch dazu. Diese Politik zerstört zudem das Vertrauen in unseren Rechtsstaat und in die Rechtsgemeinschaft der Europäischen Union. Es hält sich ja kaum noch ein Land an die gemeinsam beschlossenen einschlägigen Regeln. Weder an die Dublin-Vereinbarung noch das Schengen-Abkommen. Deutschland ist schon aus Selbstschutzinteresse in der Pflicht, die vereinbarten Verträge und Regeln einzuhalten und der Europäischen Union damit wieder zur Stabilität zu verhelfen. Deutschland nimmt seine humanitäre Verantwortung sehr ernst, das begrüße ich. Dabei dürfen wir aber doch nicht willkürlich Recht und Regeln aushebeln und dramatisch falsche Signale zu Lasten des eigenen Landes setzen.

Wenn Sie ein Sofortprogramm schreiben dürften. Was würde da drin stehen?

Es ist erforderlich die Grenzen zu schließen, sofort. Anders wacht die Europäische Union nicht auf. So lange Deutschland bereitwillig das Auffangbecken des allergrößten Teils der Flüchtlinge bleibt, wird sich in absehbarer Zeit nichts wirklich verändern. Mit dramatischen Auswirkungen auf unser Land. Die Welt steht auf dem Kopf in Europa. Das merken natürlich auch weniger politische Menschen im Lande. Damit können viele nicht mehr umgehen. Wenn wir unserer Demokratie nicht massiven Schaden zufügen wollen, muss dieses absurde europäische Drama durch deutsche Initiative jetzt beendet werden. Das bedeutet: Wir brauchen ein konsequentes Grenzregime. Nichts anderes hilft!
 

Quellen:
Stuttgarter Zeitung, Politik, 28.10.2015,
www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.interview-mit-erika-steinbach-zur-fluechtlingspolitik-die-grenzen...