Dorfanger von Himmelwitz: Auf Spurensuche Foto: Paul Leonhard |
Oberschlesien
Tristesse mit Charme
von Paul
Leonhard
Die ehemalige Klosterkirche von Himmelwitz spiegelt sich perfekt im Wasser des kleinen Teichs: der Turm mit der grünen Haube und das Langschiff. Der kleine Park ist gepflegt. Ein hölzerner Pavillon lädt zum Verweilen ein. Mitten im Wasser steht in einem Boot die Figur eines Mönchs. Ob auch Johannes Nucius einst am Ufer saß? Er ist die berühmteste Person, die in der zum Kreis Groß Strehlitz (Strzelce Opolskie) gehörenden oberschlesischen Gemeinde gewirkt hat.
Fast drei Jahrzehnte lang, von 1591 bis 1620, war der gebürtige Görlitzer Abt von Himmelwitz. Wirtschaftlich gesehen muß diese Zeit für das Zisterzienserkloster eine Katastrophe gewesen sein. Nicht nur weil 1617 Kirche und Kloster abbrannten, auch hat Nucius das schon vorher arme Kloster in seinen Jahren offenbar an den Rand des Ruins gewirtschaftet. Aber da ist noch die musische Seite des Mannes. Nucius hat einen neun Kapitel umfassenden Leitfaden zur Komposition hinterlassen, bedeutend genug, daß er heute als einer der wichtigsten deutschen Komponisten und Musiktheoretiker des frühen Barock gilt.
Der Fremdenführer erzählt in gebrochenem Deutsch die Geschichte des Mönchs, der in der ehemaligen Stiftskirche begraben liegt. Er verrät auch, warum all die Pracht den russischen Einmarsch im Januar 1945 heil überstand, warum hier nicht wie andernorts geplündert und gebrandschatzt wurde: „Die Tür zur Kirche war fest verschlossen.“
Auf den einstigen Abt sind die Himmelwitzer – deutsche wie polnische – bis heute stolz. Das Gymnasium haben sie vor einigen Jahren nach ihm benannt, und an der Wand der Dorfkirche erinnert eine Tafel an „Johannes Nucius (Nüßler), den berühmten Komponisten und Meister der Polyphonie“, der am 25. März 1620 im Alter von 64 Jahren in ihrem Dorf verstarb.
Polens Angst vor deutschen Minderheiten
Angebracht wurde sie 1992. Es war die Zeit, als plötzlich die Deutschen überall in Oberschlesien ihre nationale Identität öffentlich kundtaten. Zum Schrecken des national geprägten Polens, in dem es offiziell keine Minderheiten gab und wenn, dann höchstens die ukrainische oder litauische. Ohne Genehmigung der polnischen Behörden hätten die Deutschen in 39 Orten Schlesiens Denkmäler errichtet, die an die deutschen Gefallenen der beiden Weltkriege erinnern.
Im Mittelpunkt der Kritik stand auch Himmelwitz. Dessen Einwohner hatten im August 1992 von katholischen Priestern zwei Kriegerdenkmale weihen lassen: Eines war den im Ersten Weltkrieg gefallenen Gemeindemitglieder gewidmet, das andere den „Gefallenen und Opfern“ des Zweiten Weltkrieges.
Norbert Urban, aus einer alteingesessenen Himmelwitzer Familie stammend, kann sich gut an das Ereignis erinnern: „Wir hatten nicht nur zum Heimattreffen eingeladen, sondern gleichzeitig zu einem Fest anläßlich des Wettbewerbs um das schönste Dorf Oberschlesiens.“ Der Tanzsaal und auch der Dorfanger seien voller Menschen gewesen.
Der Wiederaufbau des Ehrenmals für die „unvergessenen Helden“ war für den heute 54jährigen ein später Erfolg. Bereits als Jugendlicher hatte er sich Ende der 1970er Jahre für das Denkmal interessiert. „Es war verwahrlost, die Namen der Gefallenen zugeschmiert, ein großer Teil abgebrochen“, erzählt er. Mit Freunden wollte er es sanieren.
Ganz offiziell wandten sich die Jugendlichen an die wichtigste Person im Dorf – den Pfarrer. „Der war kein Oberschlesier, sondern ein richtiger Pole“, sagt Urban: „Aber er fand unser Anliegen in Ordnung und gab uns seinen Segen.“ Trotzdem sollten zwölf Jahre vergehen, bis das vom Kriegerverein 1932 errichtete Mahnmal, das 1947 zerstört worden war, am 21. August 1992 erneut geweiht werden konnte.
Ringen alteingesessener Deutscher und zugezogener Polen
Himmelwitz ist heute ein gepflegter Ort. Die Fassaden der der Dorfstraße zugewandten Giebelhäuser sind saniert, der Anger mit Blumenrabatten verschönt. Nur Menschen sieht man kaum. Eine Radfahrerin fährt vorbei, aus einer Nebenstraße trabt ein Pferdegespann. Drei Männer sitzen auf dem Wagen. Die leeren Bierflaschen klappern im Kasten. Sie winken fröhlich und fahren davon. Der Tanzsaal steht verlassen in seiner grauer Fassade. „Na sprzedaż“ steht auf einem großen Schild neben der Bierwerbung: zu verkaufen.
Bei der Volkszählung 2002 gaben 53,1 Prozent der damals noch 7.700 Einwohner die polnische, 24,3 Prozent die deutsche Nationalität an. Seitdem dürften weitere Deutsche nach Deutschland abgewandert sein. So erzählen vor allem die Steine vom bis in die jüngste Zeit andauernden Ringen alteingesessener Deutscher und zugezogener Polen um die Vergangenheit. Neben den beiden Denkmalen für die Weltkriegstoten ist es ein polierter schwarzer Stein, der die Geschichte des Ortsnamens in deutscher und polnischer Sprache auflistet.
Doch schwer scheint dem gegenwärtigen Pfarrer der Umgang mit der deutschen Vergangenheit zu fallen. Die wenigen Grabsteine im Kirchhof sind überwuchert, die sie schmückenden Christusfiguren zerschlagen. Vor einiger Zeit hat der Geistliche mehrere Grabplatten deutscher Familien in die die Kirche umgebende Mauer einbauen lassen, und zwar so, daß die Schrift nicht mehr lesbar ist. Wieder waren es die Urbans, die zumindest dafür sorgten, daß die steinernen Erinnerungen an ihre in den 1930er Jahren verstorbenen Verwandten weiterhin lesbar blieben.
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